Die Burgunderkriege 1476

Die Schlacht bei Grandson, 2. März 1476

 

Mit Rudolf Montigel, dem letzten Montigel dieser Zeit, dem Dichter der Lieder von der "Ewigen Richtung mit Österreich (1474) und von der Schlacht bei Grandson (1476), dessen Name uns aus der Schweizer Literaturgeschichte erhalten blieb, erleben wir nun eine entscheidende Episode der europäischen Geschichte, nämlich die sogenannten Burgunderkriege (1476): Der kriegerische Zusammenstoß zwischen dem mächtigen Herzogtum Burgund und der Schweizer Eidgenossenschaft der "acht Alten Orte" (Schwyz, Uri, Unterwalden, Zug, Glarus, Bern, Luzern, Zürich, dazu die Städte Freiburg im Üchtland und Solothurn) besiegelte das Schicksal und den Untergang Burgunds, das ein "Reich der Mitte" zwischen Frankreich und Deutschland werden hätte können. Und vielleicht hätte damit die europäische Geschichte der späteren Zeiten eine ganz andere Wendung genommen.


In der Geschichte und Vorgeschichte der Burgunderkriege erscheinen Staatsmänner und Persönlichkeiten von Format: Zunächst Karl der Kühne, Herzog von Burgund und Graf von Flandern, eine glänzende Figur des spätmittelalterlichen Rittertums, dessen französischer Name "Charles le Téméraire" jedoch auf eine zwar tapfere, aber unausgeglichene Persönlichkeit hinweist. Da ist auch sein Vetter, Lehnsherr und Gegenbild, König Ludwig XI. von Frankreich, dessen Ziel die Vernichtung der burgundischen Macht war und der es verstand, die Freundschaft der Schweizer Eidgenossen in der Person des Berner Schultheißen Nikolaus von Diesbach zu gewinnen. Und zuletzt Herzog Sigmund von Österreich und der deutsche Kaiser Friedrich III., beide aus dem Hause Habsburg, dessen politische Haltung meistens durch eine sprichwörtlich gewordene Geldnot bestimmt war.


Dementsprechend hatte Sigmund von Österreich im Jahre 1469 das Oberelsass und einen Teil seiner rechtsrheinischen Besitzungen an Karl von Burgund gegen 50.000 Gulden verpfändet. Der neue burgundische Landvogt im Elsass, Peter von Hagenbach, machte sich dort durch eine brutale und rücksichtslose Verwaltung bald verhasst. Bern, das mit den elsässischen und oberrheinischen Städten der "Niederer Vereinigung" freundschaftliche Beziehungen unterhielt, machte den Herzog von Burgund auf den Vorgang aufmerksam, jedoch ohne Erfolg. Die Eidgenossen spürten in der burgundischen Machtpolitik eine drohende Gefahr und versuchten nun, sich mit ihrem Erbfeind, dem Österreicher Sigmund, wieder zu verständigen.

Nach Verhandlungen in Konstanz kam der Friedensvertrag, die sogenannte "Ewige Richtung", zwischen Österreich und der Schweizer Eidgenossenschaft am 3. April 1474 zustande. Als Herzog Sigmund von Konstanz aus mit stattlichem Gefolge zur Osterfeier über Zürich nach Einsiedeln ritt, wurde er überall von seinen alten Gegnern mit lautem und herzlichem Jubel empfangen. Eine ganz neue Gestaltung der Dingen glaubte man sich erheben zu sehen und die von allen Seiten geehrten und begehrten Eidgenossen erwarteten nicht mit Unrecht eine hervorragende Stellung dabei einzunehmen, als selbsterworbenen Lohn zweier Jahrhunderte voller kriegerischen Ruhmes. Rudolf Montigel, der Dichter des Liedes von der "Ewigen Richtung" mit Österreich sieht nun im Geiste alles anders werden: Österreichs Rosengarten, das schöne Gebiet am Oberrhein, umzäunt durch die Schweizer Hellebarden, Venedig gedemütigt, die Türken vernichtet, ja sogar das Heilige Grab gewonnen und in Erfüllung der sibyllinischen Weissagung den alten Barbarossa zum dürren Baume reiten! (R. v. Liliencron)

Inzwischen hatte sich Karl der Kühne mit dem deutschen Kaiser Friedrich III. überworfen (Zusammenkunft in Trier, 1473) und sich in die inneren Angelegenheiten des Erzbistums Köln eingemischt (Belagerung von Neuß, 1474). Im Elsass brach die Revolte der Städte offen aus: Hagenbach wurde festgenommen und am 9. Mai 1474 öffentlich hingerichtet. Ein Allianzvertrag zwischen Bern und Frankreich kam zustande, der die Unterstützung der Eidgenossen durch König Ludwig XI. von Frankreich zusicherte. Nun blieb den Schweizern nichts anderes übrig, als dem "Durchlauchten Hochgeborenen Fürsten und Herrn Karl Herzog zu Burgund" einen Absagebrief zu schicken.


Grandson 1476: Das bernische Heer, verstärkt durch die Eidgenossen, im Kampf gegen die Burgunder (Schillingchronik)

Der Krieg brach aus. Im Frühjahr 1475 wurden das Waadtland (pays de Vaud) und das untere Rhonetal bis Martigny von den Bernern erobert. Der Zorn Karls des Kühnen war darüber so groß, dass er noch im Winter des Jahres 1476 die Jurapässe mit einem mächtigen Heer überschritt. Er belagerte zunächst das Städtchen Grandson am Neuenburger See, zwang es zur Kapitulation und ließ in seinem Zorn die unglückliche Besatzung aufhängen oder im See ertränken. Die Hauptmacht der Eidgenossen kam zu spät, um sie zu retten. Sie beschloss aber, die ermordeten Landsleute zu rächen und wendete entschlossen ihre Schritte gegen Grandson. Die "Alten Orte", insgesamt 19.000 Mann (es fehlten noch die Straßburger Truppen und die österreichische Reiterei) standen am 2. März angriffsbereit vor Grandson.

Dem Herzog Karl war die Ansammlung feindlicher Streitkräfte bei Neuenburg nicht verborgen geblieben. Auf einem Erkundungsritt, der ihn bis hart vor die eidgenössischen Vorposten bei Boudry führte, überzeugte er sich selbst von der Richtigkeit der erhaltenen Meldungen. Um sich den Engpass zwischen dem Mont Aubert und dem See zu sichern, bemächtigte er sich des Schlosses Vaumarcus, versah es mit einer starken Besatzung und stellte eine Feldwache auf dem Wege auf, der oberhalb jener Burg von Saint Aubin am Bergeshang über Verneaz in die Ebene von Concise führt. Er war entschlossen, die Wagenburg zu verlassen und den Feinden entgegenzugehen. Am Morgen des 2. März sollte das Heer den Vormarsch antreten.

Auf den gleichen Zeitpunkt hatten aber auch die Eidgenossen ihren Angriff festgesetzt. Nur einen Wunsch kannten sie: Rache zu nehmen für die schändliche Ermordung der ihrigen. Da aber ein Angriff auf das verschanzte Lager Bedenken erregte, beschlossen sie, wegen der Bedrohung der burgundischen Besatzung im Schloss Vaumarcus, den Gegner aus seiner festen Stellung herauszulocken. Am Morgen des 2. März setzten sich alle Scharen gegen Vaumarcus hin in Bewegung. Eine starke Abteilung, aus Schwyzern, Zürchern, St. Gallern, Luzernern und Baslern bestehend, wandte sich bergwärts, vertrieb die hier postierte burgundische Feldwache und drang in der Höhe am Dörfchen Verneaz vorbei, um den Engpass von La Lance in ihre Gewalt zu bringen. Da plötzlich sah ihre Spitze, aus dem Wald heraustretend, vor sich in dem flachen Gelände zwischen Grandson und Concise das burgundische Herr in Anmarsch. Die Führer entschlossen sich sofort zum Kampf. Das Geplänkel mit der Feldwache hatte andere Abteilungen, vorab die Berner, Freiburger und Solthurner nachgezogen, so dass, nach dem Aufschließen, wohl mindestens 9.000 Mann zur Stelle waren. Es war zu erwarten, dass die zurückgebliebenen Truppenteile, die natürlich von dem Vorhaben benachrichtigt wurden, schleunigst nachfolgen würden.


Die Venner stiegen von den Rossen und nahmen die Banner selbst in die Hand (auf dem Marsch trug der "Pannervorträger" oder "Vorvenner" das Feldzeichen). Dann, "ohne alle Forcht oder Hindersichsehen", stiegen sie über die mit Reben bedeckte Berglehne zur Ebene hinab, die Schützen, die der Herzog ihnen entgegengeschickt hatte, vor sich her treibend. Den Rücken dem Abhang zugekehrt, ordneten sie sich zum Kampfe, knieten nach alter Sitte nieder zum Gebet und flehten zum lieben Gott, "dass er ihnen den Wütrich von Burgund, der mit so großer Macht vor ihnen hielte, hulf überwinden."

Dann erwarteten sie, zu einem Gevierthaufen eng aufgeschlossen, den Angriff der Burgunder. Die in der Mitte aufgestellten Banner umgab ein Wald von Hellebarden, und diese umsäumte mehrere Reihen 18 Fuß langer Spieße.

Es ging um die Mittagszeit. Das burgundische Heer war zum großen Teil noch in Anmarsch begriffen. Mit den Truppen, die ihm gerade zu Gebote standen, schritt Karl der Kühne zum Angriff. Er ließ seine Artillerie auffahren und in die dichtgedrängten Reihen feuern. Er hieß seinen Bogenschützen die Feinde mit einem Pfeilhagel überschütten und versuchte, durch eine Reiterattacke den festgefügten Haufen zu sprengen. Mit Todesverachtung stürmten die Reitergeschwader gegen den Riesenigel an. Aber unerschütterlich stand das Carré. Die Eidgenossen stießen den Reisigen die Spieße in die Nase. Der Graf Louis von Châteauguyon, ihr Führer, der sein Pferd in die Feinde eingezwängt hatte, sank tödlich getroffen nieder. Der Reiterschwarm stob auseinander.

Um die Schweizer mehr in die Ebene zu locken, um auch der Artillerie mehr Raum zu geben, befahl der Herzog seinen Truppen, sich etwas zurückzuziehen. Diese Anordnung hatte die schlimmsten Folgen. Sie wurde von den weiter zurückliegenden Scharen, die im Begriffe waren, sich zur Schlacht zu ordnen, missverstanden und als Zeichen zum völligen Rückzug aufgefasst.

In diesem Augenblick brachen neue Truppenmassen aus dem Walde auf der Höhe und unübersehbare Scharen wälzten sich vom Engpass von La Lance her. Es war die Hauptmacht der Eidgenossen. In der Sonne glitzerten die Harnische und Waffen, grimmig brüllten der Stier von Uri und die Harsthörner von Luzern.

Nun erfasste panischer Schrecken das burgundische Heer. Die Abweisung des Reiterangriffs hatte bereits entmutigend gewirkt, der Befehl des Herzogs, sich etwas zurückzuziehen, Bestürzung hervorgerufen. Das plötzliche Erscheinen frischer Streitkräfte machte einen völlig niederschmetternden Eindruck. Blindes Entsetzen bemächtigte sich der Burgunder. Aller Halt schwand. " Rette sich, wer kann!" erscholl der Ruf. Besinnungslos vor Angst liefen fast alle davon, so rasch die Füße sie tragen konnten. Die Eidgenossen ihnen nach, niederschlagend, was sie zu erreichen vermochten. Vergeblich machte Karl, unterstützt von einigen Herren seines Gefolges, die verzweifeltesten Anstrengungen, die Leute zum Stehen zu bringen und der Schlacht eine Wendung zu geben. Mit dem Schwert soll er auf die Fliehenden eingehauen haben. Umsonst! Unwiderstehlich war der Ansturm der Eidgenossen, unaufhaltsam die Flucht der Burgunder. Selbst das befestigte Lager vermochte Karl nicht zu halten. Ohnmächtig vor Wut musste schließlich auch der stolze Herzog sich zur Flucht bequemen.


Weit über Grandson hinaus wurde die Verfolgung fortgesetzt. Den Fliehenden kam es zustatten, dass die Sieger fast keine Reiterei zur Verfügung hatten; die Verluste der Burgunder wären sonst noch größer geworden. Sie ließen bloß ein paar hundert Tote auf dem Schlachtfeld zurück, ein Beweis für die Schnelligkeit, mit der sie davon gelaufen waren.


Unermesslich war die Beute, die den Siegern in die Hände fiel. Ihre gesamte Artillerie hatten die Burgunder im Stiche gelassen. Für die 419 Geschütze, 800 Hakenbüchsen und 300 Tonnen Pulver hatten die kriegerischen Eidgenossen gute Verwendung. Welch gewaltige Schätze boten sich dem trunkenen Auge bei der Durchstöberung des Lagers! Da standen hunderte von Wagen, die mit Kriegsbedarf, mit Spießen, Mordäxten, Kolben, Bögen, Armbrüsten, Büchsen und mit Proviant und Futter beladen waren.

Da standen die zahlreichen Buden der Krämer und Marketender, die Spezereien, Tuchwaren, Speise und Trank in Hülle und Fülle enthielten. Da erhoben sich die Prunkzelte des Herzogs und seines Gefolges, die Geräte und Kostbarkeiten von unschätzbarem Wert bargen. Karl der Kühne war gewohnt, auch im Feldlager durch großartige Hofhaltung zu glänzen und hatte darum die wertvollsten Gegenstände mitgebracht. Da fanden die Sieger Seide und Sammet in Menge, und mancher trug nun ein Seidenwams, der vorher kaum einen zwilchen Kittel zu bezahlen vermochte. Da lagen silberne Kannen, Platten, Schalen, Becher, von denen manches Stück von einfältigen Knechten für Zinngeschirr verkauft wurde.


Da erbeuteten die Eidgenossen des Herzogs Prunkschwert, dessen Griff mit sieben großen Diamanten, sieben großen Rubinen und fünfzehn Perlen verziert war, seinen goldenen Stuhl, auf dem er beim Empfange fremder Gesandten zu sitzen pflegte, seinen mit vielen Perlen garnierten Hut, den er bei Festlichkeiten trug, sein goldenes Siegel, sein mit Perlen und Rubinen reich geschmücktes Reliquienkästchen, das in roten Sammet gebundene, mit Gold beschlagene Gebetbuch und andere Gegenstände der herzoglichen Hauskapelle. Berühmt waren die drei großen Diamanten Karls des Kühnen: der eine, von der Größe einer Baumnuss, wurde von einem Bauern mit noch anderen Edelsteinen in einem Kästchen auf der Strasse gefunden. Der Mann warf ihn zunächst weg als ein unnützes Stück Glas. Da er aber so schön glitzerte, hob er das Ding wieder auf, um es seinen Kindern zu bringen. Ein Priester gab ihm einen Gulden dafür. Von ihm erstand der Schultheiß Wilhelm von Diesbach den "Kristall" um drei Gulden. In Bern erkannte man den Stein als echten Diamanten und verkaufte ihn um 5.000 Gulden einem Kaufmann aus Genua. Das Kleinod ging durch mehrere Hände, gelangte um einen weit höheren Preis in den Besitz des Herzogs von Mailand, glänzte hernach eine Zeit lang an der dreifachen Krone des Papstes und prangte noch in Wien im Privatschatz des Kaisers von Österreich.


Rudolf Montigel kämpfte selbst in der Schlacht bei Grandson zusammen mit der Mannschaft von Luzern, obwohl er zur Zeit des Treffens nicht mehr ganz jung gewesen sein mag, da er von sich sagt: "Ich hat kein Hor, es ward mir graw". Allein wir wissen, dass sich damals die Militärpflicht bis ins 60. Altersjahr erstreckte. Unser Dichter, der sonst nirgends als Bürger von Luzern erwähnt wird, wurde laut Beuterodel von Luzern bei Grandson verwundet und in Bern gepflegt: "item 4 Gulden von Montigels wegen, ist zu Bern wund gelegen." Für sein Lied von Grandson: "Österreich, du schlafest lang..." erhielt er dann vom Stadrat zu Freiburg im Üchtland eine Belohnung: Im Compte Nr. 147 des Schatzmeisters von Freiburg, Guilaumme de Praroman, heißt es: "Pour le premier semestre de l'an 1476, item à Rudolf Montigel de Lutzern qui fait de la victoire faite contre le duc de Bourgoignie par devers Grandson, ordonné par Messeigneurs, 40 sols."


Aus der "Literaturgeschichte der deutschen Schweiz" von Josef Nadler (Leipzig/Zürich 1932, S. 128-129) entnehmen wir folgende Stelle: "Im Krieg mit Habsburg stand Luzern im Vordertreffen. Seine liedergewandten Speerträger hatten also auch das letzte Wort. In den Burgunderkriegen ging es vorerst um Freiburg und Bern. Deren Sänger hätten daher auch im Liederstreit der Vorkampf gebührt. Dennoch waren die Luzerner Dichter nicht von der Spitze zu verdrängen. Rudolf Montigel zeigte staatsmännischen und soldatischen Weitblick, mochte er nun den Bund Österreichs mit der Schweiz 1474 oder die Burgunderschlacht bei Grandson 1476 besingen. Sein Standpunkt war bundesgenössisch, nicht eidgenössisch, und weit über das Gesichtsfeld des Schweizer Bürgers hinaus sieht er in diesem Kriege sich ein europäisches Gewitter austoben. Mit schlagender Bildkraft ist der soldatische Ablauf der Schlacht erfasst. In der Bildsprache der Banner werden die einzelnen eidgenössischen Orte im Getümmel verfolgt. Aus dem Wortschatz des Weidmannes fliegen ihm Treffworte für den Wendepunkt des Gefechtes zu. Montigel war einer der begabtesten in seinem Sinne für die großen Zusammenhänge, in seinem guten Blick für das Wesentliche kriegerischer Handlungen, in seiner fortreißenden Kraft des Ausdrucks."