2 mal 10 Gebote für Chorsänger

gefunden auf einer österreichischen Chorempore und mitgeteilt von Bernhard Hemmerle, Diözesankirchenmusikdirektor a. D., Villmar


1. Variante:


I.
Du sollst aus dem Chor herauszuhören sein! Deine Stimme ist die beste; wenn alle leise singen, dann singe Du aus vollem Halse.

II.
Du brauchst beim Singen nicht den Mund aufzumachen. Das ist nicht vornehm. Bewege ihn nach Möglichkeit überhaupt nicht; um so deutlicher ist die Aussprache.

III.
Mache beim Singen ein finsteres, grimmiges Gesicht, etwa so, wie Napoleon nach der Schlacht bei Waterloo.

IV.
Die Chorproben sind nur für Minderbegabte. Du kannst es auch so. Darum fehle öfter mal. Wenn Du aber trotzdem kommst, dann komme wenigstens zu spät. Man erkennt daran Deine Genialität. Außerdem ist das vornehm und hebt Dich aus dem gewöhnlichen Chorvolk heraus.

V.
Die Anweisungen und Erklärungen des Chorleiters gelten natürlich nur für die anderen. Du weißt das ja längst alles besser und langweilst Dich. Es ist gut, wenn Du das durch Gebärden oder halblaute Bemerkungen zum Ausdruck bringst.

VI.
Du hast es nicht nötig, nach Noten zu singen, denn Du hast Anspruch darauf, daß Dir Deine Stimme extra mit Klavierbegleitung beigebracht wird und damit basta!

VII.
Die Notenhefte leben länger, wenn Du den Deckel nach hinten klappst, die Blätter knickst oder rollst und das Ganze ab und zu fallen läßt. Im übrigen gehen Dich die Notenhefte einen Dreck an, das ist Sache des Chorleiters!

VIII.
Versäume keine Gelegenheit, Dich mit dem Nachbarn zu unterhalten. Das belebt die Chorprobe, und der Chorleiter kann viel konzentrierter arbeiten.

IX.
Achte gut darauf, daß Deine Leistungen gebührend anerkannt werden. Kritisiere viel und weise darauf hin, daß es früher selbstverständlich besser war.

X.
Vergiß nie, daß es ein besonderes Entgegenkommen ist, daß Du überhaupt mitsingst und daß Du bestimmt der ideale Chorpartner bist!

 

2. Variante:


1.) Du sollst als Chorsänger die Möglichkeit nutzen, beim Singen Dein persönliches Profil hervorzuheben, besonders durch Lautstärke, eigenes Tempo und individuelle Textgestaltung. Lasse Dich darin keinesfalls durch kleinliche Besserwisserei des Dirigenten beirren.


2.) Noten, Pausen und ähnliche Zeichen dienen nur der graphischen Ausschmückung des Textes; ihre Beachtung kannst Du getrost Malern, Graphikern und sonstigen außer-musikalischen Kunstfreunden überlassen.


3.) Häufiges Fehlen bei Proben und Aufführungen steigern Deine Wertschätzung. Bedenke, daß Du nach einiger Zeit als Rarität gefeiert wirst.


4.) Ob Du 10 Minuten zu früh oder zu spät zur Probe kommst, ist reine Geschmackssache; als Zuspätkommer hast Du aber den großen Vorteil, daß viel mehr Leute Deine Anwesenheit zur Kenntnis nehmen. Beginne nach Deiner Ankunft sofort mit dem Nachbarn eine Diskussion über allgemein interessierende Themen, wie Haus, Küche, Schule, Kinder, Politik u.ä. Dies schafft ein gutes Arbeitsklima.


5.) Du sollst Dich unmittelbar vor dem Einsatz kräftig räuspern. Es zeigt den Zuhörern an, daß es gleich losgeht. Deine Stimmbänder werden es Dir überdies danken.


6.) Zögere nicht, den Einsatzton eines Liedes nach eigener Vorstellung selbst anzustimmen. Der Dirigent wird freudig aus dem reichhaltigen Angebot des Chores etwas Passendes aussuchen.


7.) Trage energisch dazu bei, daß neue Chormitglieder nicht vorlaut werden; sie sind vielmehr schon bei den ersten Proben auf den ihnen angemessenen Rang, der sich ausschließlich nach den vor Ort abgeleisteten Dienstjahren bemißt, zurechtzustutzen.


8.) Sollte ein neues Stück in der Probe nicht auf Anhieb klappen, so beginne ohne Umschweife auf eigene Faust einzelne Passagen mit den Kollegen Deiner Stimmlage zu üben. Es entlastet nicht nur den Chorleiter, sondern erzeugt zudem ein überaus reizvolles Tongemisch.


9.) Zögere nicht, beim Aufstellen, insbesondere vor Publikum, den Standplatz im Chor unter Einsatz aller verfügbaren taktischen Mittel zu erkämpfen und beharrlich zu verteidigen. Bedenke, daß die guten Plätze entweder ganz vorne oder ganz weit hinten sind. Örtliche Besonderheiten lassen sich oft strategisch als hervorgehobener Standpunkt oder - je nach Deiner Persönlichkeitsstruktur - als Deckung nutzen.

10.) Spare niemals mit konstruktiver Kritik, vor allem, wenn es darum geht, Neuerungen einer kritischen Prüfling zu unterziehen. Originelle Beiträge, wie "so ein Scheiß!", "das hat's bei uns noch nie gegeben!' oder " Sch...lied!" wirken motivierend und bewahren vor schlimmen Fehlentscheidungen.


Bei konsequenter Befolgung dieser zehn Gebote kann auf Dauer der Erfolg nicht ausbleiben.